Die Bogenlaufwettbewerbe kamen seit Ende August Schlag auf Schlag: Erst die offenen Landesmeisterschaften Sachsen-Anhalt des BSSA in Wolfen, dann vom 31.8. bis 2.9. die offenen Russischen Meisterschaften in Yelabuga und nun am letzten Wochenende (8. + 9.9.) die offenen Deutschen Meisterschaften (DM) in Berlin. Die, denen das noch nicht reicht, fahren am 29.9. nach Den Haag zu den offenen Niederländischen Meisterschaften. Ich gehöre zu den anderen. Viel Glück, Werderaner!
Über unsere Erlebnisse in Yelabuga kann man ausführlicher hier nachlesen und ich wurde auch schon gebeten, einen Artikel für die nächste Bogensportinfo zu schreiben.
Die Landesmeisterschaften (LM) wurden routiniert von den Kuhfelder Sportfreunden ausgerichtet, die neben der Erfahrung auch die nötige Hardware haben. Durch die terminliche Nähe zu den DM gilt die LM gemeinhin als deren Generalprobe.
Gemeldet hatten die „üblichen Verdächtigen“, also die Werderaner, die Hohen Neuendorfer, natürlich Kuhfelde, Merkwitz, die Enthusiasten aus Dannenberg und ich als einziges Nordlicht. Gastgeber Wolfen hat (nach eigenen Beteuerungen: noch!) keine Bogenläufer.
Rein zahlenmäßig kamen in den für mich interessanten Klassen nicht so viele nach Wolfen, so daß Herren und ü45m in den Klassen Standard- und Traditioneller Bogen zusammen nur sechs Starter ausmachten und wir alle zusammen auf die Piste gingen. Ich nahm es trotzdem sehr ernst, denn Wolfen war für mich gleichzeitig auch die Generalprobe für Yelabuga und ich wollte das erste Mal überhaupt mit Rückenköcher starten.
Diese Entscheidung war 100%ig richtig, denn der linke Schultergurt des Köchers brachte mir durch Sehnenhänger zwei extreme Fehlschüsse ein und ich konnte meine Schusstechnik für Yelabuga noch entsprechend anpassen. Insofern sehen meine 4 Strafrunden gar nicht sooo schlecht aus. In der Gesamtwertung des Laufs wurde ich nach dem momentan unschlagbaren Marco Kreische zweiter und konnte damit den Landesmeistertitel erlaufen und … nein, nicht erschießen :).
Kaum aus Yelabuga zurück, musste ich mich auch schon auf die DM vorbereiten, denn mein Bogen war noch auf die russischen Easton XX75 mit den runden Spitzen (Hä?) eingeschossen. Also griff ich mein Bündel Kohlenstoffröhrchen (Beman Carbon Flash) und nullte mein Visier wieder. Gefühlte 200 Pfeile später hatte ich mit einer Trefferquote von ca. 80% (20 m Schussentfernung, 20 cm Zieldurchmesser) ein ganz gutes Gefühl für Berlin.
Das vorzüglich hergerichtete Stadion des SV Bau-Union in Berlin liegt ja für uns Süd-Mecklenburger quasi vor der Haustür. Entsprechend entspannt war die Anreise im Gegensatz zu den ca. 3.000 km nach Yelabuga. Das Wetter sollte sich im Verlauf des Sonnabends auch bessern (was dringend Not tat) und so harrte ich möglichst entspannt der Dinge, die da kommen würden. Im Gegensatz zu meinen bisherigen Teilnahmen hatte ich mich diesmal für das ganze Wochenende eingerichtet, weil ich die Zeit mit den neuen Bogenlauf-Freunden aus Europa genießen und die Sonntagswettbewerbe für die traditionellen sehen wollte. Das erwies sich als Glücksfall, denn ich qualifizierte mich Sonnabend für das internationale Finale der 12 Zeitschnellsten aus allen Läufen, welches am Sonntag stattfinden sollte.
Es ist ja kein Geheimnis, daß die Bogenlaufwettbewerbe für das Publikum fast so anstrengend sind, wie für die Athleten selbst, denn La-Ola, Tuten, Brüllen und Winken kosten auch Kraft. 2009 in Kuhfelde, bei meinem allerersten Bogenlauf (noch in der Herrenklasse), gab es Vorläufe und ein Finale. In diesem Jahr hat Organisator Stefan Lehmann in der Klasse ü45m St zwei gleichberechtigte Läufe angesetzt, deren Gesamtschnellster dann Meister wird. Da man während des Rennens die eigene Endzeit nicht schätzen kann, sitzt einem eine gewisse Unsicherheit im Nacken. Darum gilt es, keine Sekunde zu verschenken und trotzdem, wie beim Wettstreit Mann gegen Mann, alles zu geben. Aber das bin ich ohnehin nicht nur mir selbst, sondern auch dem Publikum schuldig, das ja was sehen will.
Ich war im zweiten Lauf dran. Der Laie könnte nun meinen, daß ich dann ja den 1. Lauf beobachten und die Zeit stoppen könne, aber dem Laien sei gesagt, daß sich der Bogenläufer besser auf seinen in Kürze folgenden eigenen Lauf konzentriert, sich einschießt (kein Tippfehler!), warmläuft und mental sammelt. Das tat ich auch und habe darum vom genannten ersten Lauf kaum etwas mitbekommen. Und ich hatte guten Grund, denn im letzten Jahr in Merkewitz hatte ich das Schießen total versemmelt und bin den Sportfreunden buchstäblich hinterher gelaufen.
Auf die Plätzchen, fertig, los! Die Laufrunde kannte ich schon vom Berliner Bogenlauf des Jahres 2009. Wir teilten uns die erste Hälfte der Strecke durch den Stadtpark mit den Wochenendspaziergängern, was aber keinerlei Probleme gab.
Kleine Kinder strahlten mich an und ich lächelte gequält zurück. Dann die Schießlinie möglichst entspannt anlaufen und das wichtigste: Zeit nehmen zum Schießen. Gaaanz ruhig! Lieber nochmal absetzen, als einen Schuß verreißen. Aber trotzdem: dritte Passe, eine suuuper Gruppe geschossen, aber leider außerhalb der Scheibe. Ergo, drei Ehrenrunden.
Beim nächsten Schießen wieder einen links unten, aber wir lernen ja dazu! Nächsten Schuß rechts oben angesetzt – paßt! Wie teilt man sich die Kräfte ein, um halbwegs genau schießen zu können, ohne eine Sekunde zu verschenken? Wer die Lösung hat, kann sich ja mal melden.
Am Ende bin ich bei dem mentalen Druck mit fünf Strafrunden noch mit einem blauen Auge davongekommen. Mit der Laufleistung kann ich auch zufrieden sein, aber ob es insgesamt reicht? Warten. Warten.
Dann mehren sich die Anzeichen dafür, daß ich Zeitschnellster geworden sein könnte. Entspannung will sich breit machen. Zweifel bleiben. Ich will mich überraschen lassen … und werde schließlich als Sieger aufgerufen.
Was für ein schöner Höhepunkt dieser Bogenlaufparty!
Der eigentliche Höhepunkt des Tages aber war das Rennen der Herren, mit internationaler Beteiligung, von Stefan mit Bedacht ans Ende des Programms gesetzt. Mein Favorit war ganz eindeutig Anton Azanov aus Moskau, der Dreifach-Sieger von Yelabuga: athletischer Laufstil, sicheres Schießen, Durchmarsch im Bogenlauf, im Bogenlauf-Sprint und in Rollerski-Archery. Wer sollte da gegenhalten können? Marco?
Marco! Das Publikum raste und Marco raste. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen über mehrere Runden. Anton schießt schneller, Marco läuft sich wieder ran und am Ende eine Spurtentscheidung auf der Zielgeraden.
Was für ein Rennen! So was habe ich noch nie gesehen.
Nach der Siegerehrung klingt der Abend für jeden anders aus. Die Kuhfelder gehen mit den Kids auf Sightseeing Tour zum Alex, ich nutze die Gelegenheit und suche noch ein Sportgeschäft, um Ersatz für meine abgelederten Laufschuhe zu finden.
Der Abend klingt bei Klönschnack mit den Kuhfeldern, einem Bier und Chips gemütlich aus und ich krabble in mein Zelt, wo mich die Geräusche der niemals schlafenden Großstadt in den Schlaf rauschen.
Sonntag ist traditionell der Tag der traditionellen Schützen. Ich freue mich darauf, die beiden meiner Meinung nach besten jugendlichen Bogenläufer zu sehen; Daniel Menrad vom BSC Hohen Neuendorf (im Video unten ab 3:28 zu sehen) und Theresa Schultheiß aus Kuhfelde.
Daniel ist ein geborener Läufer und treffsicherer und schneller Schütze. Theresa überzeugt immer wieder mit wahren Powerläufen und kann auch kämpfen, wenn es mal richtig schwer wird. Ich hoffe, daß die beiden der Szene noch lange erhalten bleiben.
Mittags kommt dann das große Finale, das internationale der 12 Zeitschnellsten. Alle erwarten wieder den Zweikampf zwischen Anton und Marco, wobei letzterer vormittags noch als Traditioneller gestartet war. Aber im Ernst, was können ein paar Temporunden einem Läufer schon anhaben?
Da ich selbst auch starte, nehme ich den Kampf an der Spitze nur von Ferne war. Das Publikum will Spannung und johlt bei guten Schießergebnissen aller Athleten. Darum ist es unmöglich einzuschätzen, wer da gerade wieder getroffen hat.
Mir ist klar, daß ich als Endvierziger für den Ausgang des Rennens keine Rolle spiele, aber ich will Erfahrungen sammeln, taktisch laufen und mich so teuer wie möglich verkaufen. Und es gelingt mir. Ich laufe zügig, aber entspannt, nehme mir Zeit zum Schießen und sprinte erst in der letzten Runde. Mit nur zwei Fehlschüssen (lt. offizieller Ergebnisliste: 3) bin ich am Ende in einem starken Feld Achter und sehr zufrieden (mein Zieleinlauf im Video unten ab 5:08).
Die Spitzenläufer waren aber schon ca. vier Minuten früher im Ziel, allen voran Marco, der es tatsächlich wieder geschafft und Anton ein zweites mal überspurtet hat!
Am Nachmittag folgten dann noch die Staffelwettbewerbe, die national durch eine geschlossene Mannschaftsleistung von den Hohen Neuendorfern gewonnen wurden und das internationale Rennen bot zum Abschluß nochmal Spannung, denn zwischen den drei russischen Staffeln lagen am Ende nur 60 Sekunden. (Na gut, in einer Staffel lief Jaanus aus Estland mit; war also international.)
Die Siegerehrung folgte kurze Zeit später auf dem bereits aufgeräumten Sportplatz. Wir klatschten uns die Hände wund, freuten uns mit den Siegern und Platzierten und wirklich ganz zum Ende wurden Erinnerungsfotos gemacht, E-Mail-Adressen ausgetauscht und sich umarmt.
Für einige geht die Party am 29.9. in Den Haag weiter. Ich habe jetzt Zeit, die ganzen Eindrücke der letzten Wochen zu verarbeiten, Bilder anzuschauen, dies hier zu schreiben und mich auszuschlafen.
Ganz sicher wird sich das Bogenlaufen weiterentwickeln und mehr Freunde gewinnen. Den Grundstein dazu haben wir in diesem Spätsommer gelegt.
Und hier Berlin im Schnelldurchlauf: